Mittwoch, 29. Dezember 2010

Was fehlt an den Märkten? Reibung und Rauschen!

Vor einigen Tagen schrieb Dirk Helbing (Lehrstuhl für Soziologie an der ETH Zürich) für die Online-Ausgabe der "WirtschaftsWoche" einen Artikel zum Thema "Physik der Finanzmärkte".

Er zieht darin Parallelen zwischen den modernen Finanzmärkten auf der einen und den Energie- bzw. Wärmeströmen in einer Flüssigkeit auf der anderen Seite. Aus diesem Vergleich leitet er dann zwei Vorschläge ab, wie sich Instabilitäten an den Märkten zukünftig auf ein gewisses Maß beschränken ließen:

  • Reibung erhöhen: Einführung einer "intelligenten" Transaktionssteuer, die erst bei Überschreiten einer gewissen Marktvolatilität greift. Dadurch soll die Handelsgeschwindigkeit in nervösen Marktphasen reduziert werden.
  • Rauschen erhöhen: Zufallstransaktionen durch eine staatliche Stelle sollen dem Herdenverhalten entgegensteuern und so das Risiko für Spekulanten erhöhen.
Frei nach dem Motto: Lieber viele kleine Bläschen frühzeitig zum Platzen bringen anstatt eine riesige Spekulationsblase zulassen, die das gessamte System aus dem Tritt bringt.

Während ich dem Vorschlag des "Verrauschens" nicht wirklich etwas abgewinnen kann (schließlich wird dadurch die Markteffizienz künstlich weiter reduziert und der Finanzmarkt wird letztlich zu einer Spielbank degradiert), ist die volatilitätsgetriebene Transaktionssteuer mehr als nur einen weiteren Gedanken wert.

Sonntag, 21. November 2010

manager magazin: Spekulative Blasen in 2011?

Das manager magazin berichtet in seiner aktuellen Ausgabe von einer Umfrage unter 300 "Entscheidern" bzgl. ihres Ausblicks für die nächsten 12 Monaten. Knapp drei Viertel der Befragten erwarten demnach im nächsten Jahr spekulative Blasen auf den Finanzmärkten. Als Begründung für diese Einschätzung wurden insbesondere die "millardenschweren Kapitalspritzen und Staatsanleihekäufe der Zentralbanken" genannt.

Was sich auf den ersten Blick recht düster anhört, ist für bereits investierte Anleger zunächst einmal eine positive Nachricht. Denn bevor es irrationalen Übertreibungen an dem Märkten kommen kann, müssen die Kurse erst einmal deutlich steigen. Dies trauen die Befragten am ehesten den Rohstoff- und Aktienmärkten zu.

Mittwoch, 18. August 2010

DAF: Buchempfehlungen zum Thema Spekulationsblasen

Auf dem Deutschen Anlegerfernsehen (DAF) gab es heute in der Sendung "seitenweise" drei Buchempfehlungen zum Thema "Spekulationsblasen":
Rezensent ist Rolf Dobelli vom Buch-Kondensierer getabstract. Egal was man von dem Unternehmen und seinem Geschäftsmodell hält - er versteht es die Inhalte auf den Punkt zu bringen.

Montag, 9. August 2010

Die "Affenwirtschaft" - oder: der biologische Ursprung unserer Irrationalität

Hier ein sehr interessanter Vortrag von Laurie Santos, Psychologie-Professorin in Yale. Sie beschreibt darin sehr kurzweilig, wie sie Kapuzineräffchen erst die Bedeutung von "Geld" beigebracht hat und anschließend überprüfte, ob sich die aus der Behavioral Finance bekannten "menschlichen Schwächen" auch in dem Verhalten unserer biologschen Verwandten zeigen.

Und tatsächlich: die Loss Aversion, also die Tendenz sichere Verluste nach Möglichkeit zu vermeiden (auch wenn die Alternative in einem ein deutlich höheren möglichen Verlust besteht) ist bei den Affen sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Sicht ähnlich ausgeprägt wie beim Menschen.

Montag, 24. Mai 2010

"Herzflimmern der Börse": Traue keiner Statistik ...

Die FAZ hat am 18. Mai einen Artikel mit dem spannenden Titel "Das Herzkammerflimmern der Börse" veröffentlicht. Aus dem einleitenden Absatz wird bereits deutlich, was den Lesern zu erwarten hat:
"Die irrwitzigen Schwankungen der Aktienkurse sind nicht so rätselhaft, wie oft behauptet wird. Wo die schnellsten Computer der Welt als Spekulanten agieren, gerät der Finanzmarkt ins Netz der räuberischen Algorithmen."

Den reißerischen Ton könnte man dem Autoren noch verzeihen - zu seiner Entschuldigung sei angemerkt: der Beitrag erschien in der Rubrik Feuilleton - nicht jedoch die begleitende Grafik, die auf den ersten Blick dramatisch erscheint, bei genauerer Betrachtung jedoch einer versuchten Verdummung des Lesers gleichkommt:

(c) 2010 FAZ

Denn in der Beschreibung steht, dass die Grafik die absoluten Änderungen des Dow Jones darstellt. Dazu muss man sich vor Augen halten, dass der Dow Jones nicht schon immer bei seinen rund 10.000 Punkten steht, sondern im Oktober 1928 bei gerade mal 240 Punkten. Das heißt ein Tagesverlust bzw. -gewinn von 100 Punkten, heutzutage beinahe täglich zu beobachten, hätte damals eine prozentuale Änderung von 42% bedeutet!

Aber hat denn die Nervosität am Markt in den letzten Jahren zugenommen, wie es der Autor mit dieser Grafik impliziert?

Schauen wir uns dazu einen deutlich breiter aufgestellten amerikanischen Aktienindex an, den S&P 500. Würde man die absoluten Wertänderungen abtragen, ergäbe sich ein Bild sehr ähnlich zu dem in der FAZ:



Betrachten wir uns nun jedoch die relativen, d.h. prozentualen, Änderungen von einem Tag zum nächsten. Dann zeigt sich ein ganz anderes Bild:



Diese macht natürlich deutlich weniger her, scheinen sich doch die täglichen Ausschläge seit den 50ern Jahren nicht wirklich verändert zu haben.

Samstag, 23. Januar 2010

The Financial Bubble Experiment

Didier Sornette und sein "Financial Crisis Observatory"-Team gehen in die Offensive - mit ihrem "Financial Bubble Experiment".

Er will damit dem naheliegenden Vorwurf begegnen, seine Vorhersagen zum Platzen von Spekulationsblasen nur dann zu veröffentlichen wenn sich diese im Nachhinein als zutreffend bewiesen haben.

Andererseits können die Vorhersagen aber auch nicht im voraus publiziert werden, da dann die Gefahr einer Marktreaktion auf die Vorhersage besteht.

Als Lösung veröffentlichen die Wissenschaftler vom ETH lediglich die digitale Signatur der PDF-Dokumente, in denen sie ihre Vorhersage treffen. Im Abstand von sechs Monaten (erstmals im Mai 2010) lüften sie das Geheimnis, auf welchem Markt sie eine Spekulationsblase vermutet haben und ob sich dieser Markt tatsächlich wie vorhergesagt verhalten hat.

Bin gespannt, wie sich das Projekt entwickelt: Die FAZ zitiert in Ihrem Artikel zwei Wissenschaftler, die den Ansatz von Sornette als wenig erfolgversprechend einschätzen - wobei einer von ihnen - Thomas Lux - ebenfalls unkonventielle Ansätze zur Vorhersage von Spekulationsblasen verfolgt.

Samstag, 2. Januar 2010

Welche Wahl lässt uns die Krise?

Definiert man den Fall von Lehman Brothers als Stunde Null, so jährt sich die Krise am 15. September zum ersten Mal. Ein Jahr, in dem es die Hiobsbotschaften vom Wirtschaftsteil der Gazetten auf die Titelseite schafften. Ein Jahr, in dem die Bankenkrise zunächst zur Wirtschafts- und schließlich gar zur Weltwirtschaftskrise geadelt wurde. Von einer „Kernschmelze“ des Finanzsystems war die Rede, von einem Übergreifen auf die „Realwirtschaft“, von „faulen Krediten“, die auf „bad banks“ ausgelagert werden sollten – Wortschöpfungen, die einem heute genauso leicht über die Lippen gehen wie die Fantastilliarden an staatlichen Hilfszahlungen.

Doch der GAU blieb aus, das Finanzsystem blieb uns erhalten. Der Einbruch in der Realwirtschaft geht an vielen Konsumenten auch heute noch weitgehend unbemerkt vorbei. Vergleiche mit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stoßen vielerorts auf Verwunderung. Und schon werden erste Stimmen laut, das Gröbste sei überwunden. Es gehe wieder aufwärts. Banken wie Goldman Sachs, die ohne staatliche Hilfen heute nicht mehr am Markt existieren würden, sind wieder profitabel und schütten sogar Boni aus. Die Zertifikateindustrie verkauft neuen Wein in undurchsichtigen Schläuchen. Niedrige Zinsen und „Einstiegskurse“ im Aktienmarkt verleiten zur Spekulation. Alles also wie gehabt?

Oberflächlich betrachtet scheint dies tatsächlich so. Und genau hier liegt die Gefahr: Es darf kein bloßes „weiter so“ geben. Wir dürfen uns nicht selbstzufrieden zurücklehnen, in dem Glauben mit einem Blauen Auge davon gekommen zu sein. Denn das (scheinbare) Ende der Krise kam zu schnell. Das reinigende Feuer wurde gelöscht, bevor es das bestehende System zu einer echten Erneuerung zwingen konnte. Doch ohne diese notwendige Erneuerung wird der nächste Brand um so unerbittlicher über uns herein brechen und dann tatsächlich historische Dimensionen annehmen.

Das eigentliche Problem besteht also keineswegs darin, dass uns die Krise zu wenige Handlungsalternativen lässt. Es besteht vielmehr darin, dass sie uns nun wieder eine Wahl erlaubt: die Wahl zwischen dem richtigen und dem einfachen Weg; die Wahl zwischen einer Korrektur früherer Fehler und einer Fortführung des „status quo“. Und die traurige Wahrheit ist, dass wir – vor eine solche Wahl gestellt – in aller Regel den kurzfristigen Nutzen in den Vordergrund stellen und uns für den einfachen, den falschen Weg entscheiden.

Dies trifft insbesondere auf die Politik zu, die in dieser kritischen Zeit besonders gefordert wäre. Nicht nur, weil der 27. September wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Parlamentarier schwebt. Sondern weil die politischen Entscheidungsträger in ein feinmaschiges Geflecht aus parteipolitischen, persönlichen und branchenspezifischen Interessen eingebettet sind, das von allen Seiten Zugkräfte auf sie ausübt. Dieses Geflecht ist in den vergangenen Jahren zu einem undurchdringlichen Dickicht angewachsen und kann – lässt man nur allen Beteiligten genügend Zeit, sich in Stellung zu bringen – gute Politik erfolgreich verhindern. Denn eine Heerschar von Besitzstandswahrern macht es sich zu nutze, dass Veränderungen immer auch Nachteile mit sich bringen. Im Bestreben, es sich mit keinem Stakeholder zu verscherzen, werden dann fragwürdige Kompromisse geschlossen, deren Ausgestaltung sich auch bei wohlwollender Betrachtung nicht mit Sachargumenten begründen lässt. Was dann im Ergebnis zu einer Politik der Tippelschritte führt, die im besten Fall zumindest in die richtige Richtung zeigt.

Dies mag in einem statischen Umfeld noch funktionieren. Ändern sich jedoch die Rahmenbedingungen wie Ende letzten Jahres dramatisch, kann eine solche Politik nicht zum Erfolg führen. Und genau hier bestand die sprichwörtliche Chance in der Krise: Sie zwang die Entscheidungsträger, sich aus diesem Interessengeflecht herauszuschälen und entschlossen zu handeln. Der kollektive Schockzustand erlaubte es, den Finger in die offenen Wunden zu legen und Erste Hilfe zu leisten. Und nun – da der „Patient“ stabilisiert ist – wäre es an der Zeit, nicht nur die Symptome sondern auch die Ursachen zu behandeln. Doch mit jedem Prozentpunkt, den der DAX und die übrigen Indikatoren steigen, wird dies schwieriger. Mit jedem Tag, an dem die Krise von den Titelseiten und damit aus den Köpfen verschwindet, verliert die Politik einen Teil ihrer Entscheidungskraft. Wahltaktik und Parteiinteressen gewinnen wieder die Oberhand.
Daher dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass die Politik die Missstände für uns aus der Welt schaffen wird. Wir müssen selbst die Verantwortung übernehmen für die Probleme, deren Lösung in unserer eigenen Hand liegt. Wir alle. Der mündige Bankkunde, der sich von provisionsgesteuerten Beratern emanzipiert und sich nicht von Renditeversprechen blenden lässt. Der langfristig denkende Unternehmer, der seine Entscheidungen stets sowohl unter Rendite- als auch unter Risikoaspekten abwägt. Und schließlich der Angestellte, der sich nicht auf die Abhängigkeit zu seinem Arbeitgeber beruft, wenn ihm moralisch fragwürdiges Handeln abverlangt wird.

Nur wenn wir alle aus unseren Fehlern lernen und diese Lektionen in unserem kollektiven Bewusstsein bewahren, haben wir gute Chancen auf eine echte wirtschaftliche Zukunft. Auf eine Zukunft, die auch den nachfolgenden Generationen – unseren Kindern und Kindeskindern – eine vergleichbar hohe Lebensqualität bietet.

(mein Beitrag zum Leserwettbewerb der ZEIT im September 2009)